03 September 2008

LUST UND LEID - "Man lebt nur einmal, genieße den Schmerz!"

SPIEGEL ONLINE - 03. September 2008

Der Mensch kann heftigste Schmerzen ertragen, sagen Wissenschaftler - solange er nur selbst die Kontrolle darüber behält. Susi aus der Hamburger Herbertstraße stellt das täglich fest. Auf Spiegel Online erzählt die Domina, wie sie Schmerz und Lust fördert.

Das Verlangen nach Schmerz gehört zu den scheinbar unverständlichen Bedürfnissen von Menschen. Im 14. Jahrhundert zogen religiöse Geißler zu Tausenden durch Europa und peitschten sich blutig, einmal nachts, zweimal am Tag. Ihnen folgten der Ordensgründer der Jesuiten und Katharina von Siena. Lange gehörte die Peitsche in die Klosterzelle.


Domina: "Das Gefühl des Schmerzes belebt die Geister"

Im 18. Jahrhundert überhöhte sie der Marquis de Sade als Instrument sexueller Lust: "Ruten? Pflegst du denn zu peitschen, meine Liebe?", schrieb er in der 1795 erschienenen "Juliette". "Das Gefühl des Schmerzes belebt die Geister, indem es in den Geschlechtsorganen eine außerordentliche Hitze erzeugt."

Vor sieben Jahren nun fand David Borsook, Radiologe an der amerikanischen Harvard Medical School, im Gehirn Hinweise auf den Bund von Lust und Schmerz. Er setzte acht Menschen einem Temperaturreiz aus: Im Moment der Verletzung waren bei ihnen Hirnareale aktiv, die sich sonst bei eher vergnüglichen Unternehmungen wie Wein trinken oder Sex regen.

Ein Mensch könne, wenn er es denn wolle, heftigste Schmerzen ertragen, sagt Walter Zieglgänsberger, Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Neuropharmakologie. Solange er die Kontrolle behalte. "Darauf bauen auch die Masochisten. Sie können jederzeit sagen: Schluss!" Die Lust, so der Schmerzforscher, entspringe dem Gefühl der Macht. "Der Masochist unterwirft sich der Domina ja nur scheinbar. Ein einziges Wort - und er stoppt sie. Es ist ein Spiel in einer Scheinwirklichkeit, die keine Angst erzeugt."

Diese Erfahrung hat auch auch die Hamburger Domina Susi gemacht. SPIEGEL ONLINE erzählte sie, dass ihre schmerzsuchenden Kunden immer verrückter werden:

SPIEGEL ONLINE: Welche Wünsche haben Ihre Kunden?

Susi: Ich fessele sie zum Beispiel ans Kreuz und schlage sie mit nägelbesetzten Paddeln - aber nur, wenn man es hinterher sehen darf. Sonst muss man die Paddel ohne Nägel nehmen. Viele Kunden kommen, weil die eigene Frau zu Hause ihre Wünsche nicht erfüllt. Aber es gibt auch welche, die ihre Männer hier herbringen und hinterher wieder abholen. Die Leute werden immer verrückter.

SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?

Susi: Ich soll viel mit Strom arbeiten, Elektroden an Brustwarzen und Hoden legen. Und auch viel mit Nadeln, die steche ich in die Hoden, oft spritze ich vorher Kochsalzlösung hinein. Aber wenn die Kunden ihren Orgasmus hatten, muss ich mich beeilen. Da heißt es: Luft anhalten und - zack, zack! - die Nadeln raus. Denn nach dem Orgasmus empfinden die Gäste wieder ganz normal den Schmerz. Manche lassen sich auch einfach nur verbal erniedrigen: Sie wollen, dass ich viel rede.

SPIEGEL ONLINE: Was erzählen Sie ihnen dann?

Susi: Manche wollen, dass ich ihnen alles genau beschreibe: den Flaschenzug, die Luftnot durch die Gasmaske. Und wenn ich dann die Instrumente zur Hand nehme, sagen sie: "Stopp!"

SPIEGEL ONLINE: Und dann hören Sie auf?

Susi: Sagt der Gast "Stopp" oder "Gnade", mache ich nicht weiter. Das ist die unumstößliche Regel. Ansonsten bestimme ich, was wir machen. Manchmal kommt ein Gast auch mal in den Käfig, unten im Keller. Und reden sie mich nicht mit "Herrin" an, werden sie bestraft.

SPIEGEL ONLINE: Welche Bedürfnisse überraschen Sie?

Susi: Mich kann eigentlich wenig überraschen. Doch, als der erste Gast nach einer Vorhautbeschneidung gefragt hat, war ich überrascht. "Das mache ich nicht", habe ich gedacht. Doch dann habe ich einen anderen Gast gefragt, der ist Arzt. Seither schicke ich solche Kunden nach der Prozedur hier direkt zum Arzt, zum Nachbehandeln.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie Ihre Tätigkeit erlernt?

Susi: Das hat ein halbes Jahr gedauert. Ich habe mich von einer anderen Domina anlernen lassen, habe viele Filme geguckt und Bücher gelesen. Wichtig ist, dass man den Männern die Scham nimmt. Es kommen Professoren, Rechtsanwälte und Prominente, die man jeden Tag im Fernsehen sieht. "Du brauchst dich nicht zu schämen", sage ich zu denen. "Man lebt nur einmal. Du kannst es genießen."

SPIEGEL ONLINE: Erleben Sie nie peinliche Momente?

Susi: Peinliche nicht. Einmal war es ein bisschen unangenehm, da begegneten sich Vater und Sohn bei mir auf der Treppe. Der eine kam, der andere ging. Wie die geguckt haben! Da habe ich sie beruhigt: "Ihr braucht euch doch nichts vorzuwerfen", habe ich den beiden gesagt, "ihr habt doch beide einen tollen Geschmack."

Die Fragen stellte Katja Thimm

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